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Dorf Zukunft Digital

Ein Dorf das auf einem grünen Hügel liegt. Häuser, Bäume und eine Kirche

Im Kreis Höxter erproben Dorfgemeinschaften in mehreren Projekten schon seit 2016 digitale Anwendungen für Teilhabe, Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt und Miteinander vor Ort. Basis dafür ist eine digitale Dorfplattform. Kern der Vorhaben sind dabei jedoch nicht nur die Anwendungen, sondern der Bottom-Up-Entwicklungsprozess, der die Menschen vor Ort von Beginn an einbezieht und deren digitale Kompetenzen stärkt.

Im Kreis Höxter ist man davon überzeugt, dass eine zukunftsweisende Dorfentwicklung nicht im Landratsamt, sondern bei den Menschen beginnt – das gilt auch für Digitalisierung. Und so erproben zahlreiche Dorfgemeinschaften in mehreren logisch zusammenhängenden Förderprojekten schon seit dem Jahr 2016 digitale Anwendungen für Teilhabe, Nachbarschaftshilfe, Ehrenamt und Miteinander vor Ort. Im Zentrum der Projekte steht eine digitale Dorfplattform, über die Informationen bereitgestellt werden und Menschen miteinander kommunizieren können. Auf Basis dieser Plattform wurden über die Jahre zahllose neue Anwendungen selbst entwickelt – von der smarten Bürgerhalle über eine Nachbarschaftshilfe-Lösung bis hin zum digitalen Gottesdienst.

Schwerpunkt der Projekte sind hier jedoch nicht die eigentlichen Software-Anwendungen, sondern der ganzheitliche, partizipative Entwicklungsprozess, der bei den Menschen vor Ort ansetzt. Diese bekommen keine fertigen Lösungen vorgesetzt, sondern bestimmen von Beginn an selbst, welche Dienste sie benötigen und wie diese ausgestaltet sein sollen. So entstehen nicht nur Anwendungen, die wirklich sinnvoll und niedrigschwellig sind, sondern auch eine lokale Mitmach- und Kümmererstruktur. Ziel ist die Entwicklung von Gemeinschaft, das Entwickeln neuer “Rezepte” für gesellschaftliches Zusammenleben. Digitale Tools sind lediglich Werkzeuge dafür.

Alle Digitalisierungsprojekte im Kreis Höxter haben eine ähnliche Struktur: Dorfgemeinschaften erhalten durch Fördermittel einen digitalen Experimentierraum. Gleichzeitig werden die digitalen Kompetenzen der Bürger:innen gestärkt. Die Ergebnisse fließen dann in die Kreisentwicklung zurück. Dabei arbeiten Landkreis, Wirtschaftsfördergesellschaft und Volkshochschulen in engem Schulterschluss zusammen. Es wird darauf geachtet, dass die Augenhöhe von Kreis und Kommunen gewahrt wird.

Die konkrete Umsetzung der Projekte lag zunächst bei der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung im Kreis Höxter mbH und liegt jetzt bei der Volkshochschule und beim Kreis Höxter, wo die jeweiligen hauptamtlichen Projektstellen angesiedelt sind – eine Stelle (100% VZÄ) reichte pro Projekt jeweils aus. Diese kümmert sich um die Auswahl der Modelldörfer, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Begleitforschung, die Gestaltung des Beteiligungsprozesses, die Begleitung von Ausschreibungen, um Fördermittelmanagement sowie Verankerung der digitalen Anwendungen in den Dorfgemeinschaften.

2016 entstand das erste Projekt “Smart Country Side” gemeinsam mit dem Kreis Lippe, gefördert aus Landes- und EFRE-Mitteln. In 16 Modellorten begannen die Bürger:innen auf Dorfkonferenzen, Ideen für digitale Dienste (oder “Smart Country Services”) zu entwickeln. Diese Art der Bedarfserfassung war eine wesentliche Innovation, die seither zahlreiche Nachahmer:innen gefunden hat. Auf diesen Versammlungen kamen Bürger:innen zusammen und konnten zunächst auch Sorgen und allgemeine Bedarfe in Bezug auf Digitalisierung äußern: Welche Aspekte von Digitalisierung werden nicht verstanden? In welchen Bereichen möchten sie sich souveräner fühlen? Was wollen sie lernen, was ausprobieren? Und in welchen Bereichen des Alltags werden neue Ansätze besonders dringend gebraucht?

So entstand die Idee einer Dorf-Plattform mit Webseite und App. Über diese sollten sowohl verschiedenste Informationen eingestellt werden können sowie auch die Echtzeit-Kommunikation zwischen den Bürger:innen ermöglicht werden. Die Kernidee: das analoge Dorfgespräch “über den Gartenzaun” durch die Möglichkeit einer digitalen Kommunikation zu ergänzen. Es sollten ortsunabhängig Neuigkeiten ausgetauscht sowie Rat und Hilfe organisiert werden. Dies sollte es auch ermöglichen, dass Neuankömmlinge schneller ins Dorfleben integriert werden. Die Plattform sollte so gestaltet sein, dass sie für alle Generationen einfach und intuitiv zu bedienen ist. Nicht zuletzt sollte sie erweiterbar sein, sodass über sie neue Anwendungen entwickelt und eingebunden werden können – und zwar so niedrigschwellig wie möglich, durch die Bürger:innen selbst und ohne, dass dafür ein Dienstleister beauftragt werden muss.

Auch die Suche nach einem Software-Dienstleister wurde durch die Dorfgemeinschaften organisiert. So wurden zunächst mögliche Anbieter gesucht, die sich dann auf den Dorfkonferenzen vorstellten. Die Bürger:innen hatten dabei zwei wesentliche Voraussetzungen festgelegt: Erstens sollte der Dienstleister nicht kommerziell, sondern gemeinwohlorientiert operieren. Zweitens sollten die entstehenden Lösungen den höchstmöglichen Datenschutzanforderungen genügen. Schließlich wurde die Ausschreibung der digitalen Dorf-Plattform federführend für beide Kreise, Höxter und Lippe, vom Kreis Lippe durchgeführt, unter Berücksichtigung der von den Dorfgemeinschaften genannten Bedarfe, die Grundlage der Leistungsbeschreibung waren. Ein Prozess von ca. fünf Monaten. Die Ausschreibung gewann schließlich Fraunhofer IESE. Für die Entwicklungsleistung von Webseite und App sowie die Umsetzung in den zwei Landkreisen wurden über die fünf Jahre Projektzeitraum ca. 140.000 Euro ausgegeben.

Schon während der Laufzeit von Smart Country Side entstand im Kreis Höxter das ergänzende Vorhaben „Digitale Kompetenz für Bürger*innen im ländlichen Raum“, gefördert aus dem Programm Land(auf)Schwung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Dabei wurden durch die Volkshochschulen 140 Menschen zu Dorf-Digital-Expertinnen ausgebildet. Über 15 Monate erwarben diese digitale Kompetenzen vom Online-Einkauf über die Benutzung von Virenschutz-Software bis hin zu Datenschutz und Abschluss von Verträgen über das Internet. Schließlich gaben sie ihr Wissen selbstorganisiert und ehrenamtlich an ihre Dorfgemeinschaften weiter. Dafür wurden in den Dorfgemeinschaftshäusern “digitale Klassenzimmer” eingerichtet. Die Aufträge für die Hardware konnten regional vergeben werden, pro Klassenzimmer standen 4.000 Euro zur Verfügung.

“Dorf Zukunft Digital” ist die logische Fortsetzung beider Vorhaben. Es dient der weiteren Verankerung und Weiterentwicklung des Ansatzes der “Digitalisierung von unten” und soll weitere 30 Dörfer fit für eine digitale Zukunft machen – das kleinste mit 200 Einwohner:innen, das größte mit 4.000. Insgesamt sind etwa 15.000 Menschen beteiligt. In einem dreijährigen Förderzeitraum erhalten sie die Möglichkeit, digitale Anwendungen in der Dorfgemeinschaft zu erproben und neue zu entwickeln. Bürger:innen werden geschult, um das Content-Management-System der Dorf-Plattform administrieren zu können. Und auch begleitend werden die teilnehmenden Dörfer umfassend weitergebildet. Die Schulungsinhalte umfassen Projektmanagement, Fördermittelbeantragung, EDV, Social Media Kommunikation, Datensicherheit und „digitales Ehrenamt”. Finanziert wird das Vorhaben durch LEADER-Mittel, den Eigenanteil bringt der Kreis Höxter ein.

Basis ist auch in diesem Projekt die Plattform Digitale Dörfer von Fraunhofer IESE, die im Rahmen von Smart Country Side entwickelt wurde. Für Rollout und Nutzung in den 30 Dörfern fallen über den Projektzeitraum von fünf Jahren ca. 44.000 Euro an. Damit neue digitale Anwendungen erprobt werden können, werden auch hier Dorfgemeinschaftshäuser oder Bürgerhallen mit IT-Equipment ausgestattet. Dafür standen pro Dorf 2.000 Euro pro Lern- und Medienecke zur Verfügung.

Die einzelnen Anwendungen, die im Rahmen der Projekte SCS und DZD entstanden, erprobt und weiterentwickelt wurden, sind ausgesprochen vielfältig: Die Fürsorge-Plattform “Das Sorgende Dorf” (eine Möglichkeit, Hilfe für Alltagsprobleme anzubieten oder zu suchen), der “Digitale Dorf-Hilferuf” (Nachbarschaftshilfe für alleinstehende Senior:innen), “Gut versorgt in Höxter” (eine Gesundheits- und Senior:innen-App), die “Smarte Bürgerhalle” (ermöglicht digitale Steuerung von Licht, Heizung, Medien und Sicherheitssystemen in dörflichen Einrichtungen und Vereinsgebäuden), die “Kirchen-Plattform” (Online-Gottesdienste und Online-Seelsorge sowie Informationen), die “Neubürger-Plattform” (Rat, Tat und Hilfe zur Integration von Neuzugezogenen in die Dorfgemeinschaft), die “Dorf-Chronik digital” (Bewahrung und multimediale Präsentation der Dorfgeschichte), ein digital-analoges Erzählcafé, digitale Erlebnistouren für Tourist:innen sowie eine Immobilienplattform.

Alle diese Anwendungen wurden durch die Dorfgemeinschaften selbst entwickelt, auf der technischen Basis der Dorf-Plattform. Für jeden neuen Dienst werden hier einfach neue Reiter auf die Startseite hinzugefügt, über die sie dann zugänglich sind. In seltenen Fällen musste Fraunhofer IESE zur Umsetzung kleinere Updates an der Plattform vornehmen. Für manche Projekte, wie z.B. die “smarte Bürgerhalle”, wurde die Ausstattung von Gebäuden mit Smart-Home-Technologie ausgeschrieben und regional vergeben.

Der konsequent partizipative Digitalisierungsansatz des Landkreises Höxter taugt als Blaupause für die Regionalentwicklung – zu diesem Ergebnis kam eine Projektevaluation des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung. Die Wissenschaftler:innen sprachen sich dafür aus, in Digitalisierungsfragen so viel Verantwortung und auch Entscheidungsgewalt wie möglich auf die niedrigste mögliche Ebene zu verlagern – den Dorfgemeinschaften. Das könne jedoch nur gelingen, wenn lokales Engagement auch über Projektlaufzeiten hinaus von übergeordneten, hauptamtlichen Strukturen unterstützt wird. Weiter wird plädiert, dass integrative Strategien für die digitale Inklusion weiterer Dörfer entstehen, um keine (digitalen) Ungleichheiten zu vertiefen oder entstehen zu lassen.

Im Kreis Höxter passiert genau das. Um den vielen Digitalisierungsprojekten ein strategisches Dach zu geben, wurde eine umfangreiche Digitalisierungsstrategie geschaffen, in die umfassend dörfliche Perspektiven eingeflossen sind. Zusätzlich wird derzeit die Gründung eines Digitalnetzwerks vorbereitet. Die konkrete Organisationsform ist noch offen, ein Großteil der Finanzierung wird vom Landkreis kommen, der auch die Steuerung übernehmen wird. Dieses Digitalisierungsnetzwerk soll vor allem den projektbeteiligten Kommunen zugutekommen. Deren Digitalisierungsbeauftragten sind neben ihrem Tagesgeschäft mit der Umsetzung des Online-Zugangs-Gesetzes (OZG) beschäftigt und freuen sich über die Unterstützung aus dem Digitalnetzwerk. Als “schnelle Eingreiftruppe” soll das Digitalnetzwerk Kompetenzen bündeln, beraten und unterstützen sowie unbürokratischer agieren können, als das aus der Kernverwaltung heraus möglich wäre. Dazu werden zunächst zwei projektunabhängige Stellen geschaffen.

Informationen Landkreis

Kreis Höxter (Nordrhein-Westfalen)
Fläche: 1.085 km²
Einwohner:innen: 139.729
116 Einwohner:innen je km²