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Echtzeit-Frühwarnsystem für Starkregen-Ereignisse

Das Fraunhofer IOSB-INA in Lemgo unterstützt die Stadt Steinheim in der Umsetzung eines Hochwasserschutzprojektes für Starkregen-Ereignisse. Ziel dieses Projekts ist es, effektive und nachhaltige Lösungen für eine rechtzeitige Information von Hochwasser-Ereignissen zu entwickeln und zu testen. Dies umfasst die Überwachung von Wasserständen und Wetterbedingungen, die Vorhersage von Hochwasser und die Entwicklung von Schutzmaßnahmen durch Information und Aktivierung der Meldekette der Einsatzdienste. Das Projekt nutzt moderne Technologien wie Sensoren, Künstliche Intelligenz (KI) und Datenanalysen, um zukünftig eine schnelle und präzise Reaktion auf Hochwasserbedrohungen zu ermöglichen.

In Steinheim ist Hochwasser bei Starkregenereignissen ein immer stärker zunehmendes Problem. Nach Angaben der Risiko-Karte der Bezirksregierung und den Angaben des Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV), sind rund 300 Bürger:innen in der Steinheimer Innenstadt von Hochwasserwirkungen betroffen. In den Jahren 1993 und 1998 stand das Wasser in Steinheim dabei besonders hoch und der Fluss Emmer überschwemmte dabei ganze Teile der Stadt. Seitdem gab es immer wieder Starkregenereignisse, jüngst im Februar 2020.

Trotz Investitionen in den vorbeugenden Hochwasserschutz und der Forschung an verbesserten Vorhersagemodellen durch KI verursachen Starkregenereignisse weiterhin große Schäden. Die Vorhersagequalität von Starkregen ist aufgrund ihrer kleinräumigen Natur von lokalen Faktoren wie dem Zustand der Vegetation und der Bodenbeschaffenheit abhängig.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) definiert Starkregen als Niederschläge von mehr als 25 Liter pro m² innerhalb einer Stunde. Diese extremen Niederschläge sind durch ihre lokale Begrenztheit und Seltenheit gekennzeichnet. Um gefährdete Gebiete zu identifizieren, erstellen die zuständigen Kommunen in der Regel Gefahren- und Risikokarten mit drei unterschiedlichen Eintrittswahrscheinlichkeiten.

Die Vorhersagen für Unwetter bis zu 2 Stunden im Voraus werden hauptsächlich durch Fernerkundung (Wetterradar- und Satellitenbilder) und numerische Wettervorhersagemodelle (NWV-Modelle) erstellt. Das Regionalmodell COSMO-D2 des Deutschen Wetterdienstes nutzt eine horizontale Auflösung von 2,2 km. Es werden auch vernetzte Sensorsysteme und simulationsbasierte Alarmsysteme für Vorhersagen und Warnungen vor extremen Niederschlägen genutzt. Plötzliche und lokal begrenzte Starkregen haben jedoch eine extrem kurze Vorwarnzeit im Vergleich zu langsamen Regenfällen, die zu Hochwasser führen können.

Viele Forschungsprojekte konnten bisher zeigen, dass die Problematik der kleinräumig genauen und rechtzeitigen Information im Bereich des Hochwasserschutzes bei Starkregenereignissen vorherrscht. Historisch bedingt gibt es Ansiedlungen in Tälern, wo topografisch Hochwassergefährdung besteht. Eine automatisierte, sensorgestützte Echtzeit-Lösung mit hoher Vorwarnqualität kann daher Kommunen und Anwohner:innen dabei unterstützen, Schutzmaßnahmen im Falle eines Starkregenereignisses zu ergreifen. Für Feuerwehreinsatzkräfte ist es wichtig, Überschwemmungen vorherzusehen und den zeitlichen Verlauf von Pegeln lokaler Gewässer zu beobachten. Dieser Aspekt ist für eine Beurteilung der Lage und für die Koordinierung von Hilfsmaßnahmen elementar.

Der Einsatz von Internet of Things (IoT) und KI bietet eine Chance für die Entwicklung eines effektiven Informationssystems im Falle eines Starkregenereignisses. Im Rahmen eines Pilotprojekts wird seit 2022 das erste IoT-basierte Infosystem an dem kleinen Fluss Emmer in der Stadt Steinheim erprobt. Ultraschallbasierte Pegelmessgeräte wurden an ausgewählten Stellen entlang des Flusses installiert. Diese messen seitdem alle zehn Minuten den Wasserstand. Die Messdaten werden über den Funkstandard LoRaWAN zum Fraunhofer-Institut in Lemgo übertragen. Dort werden sie gespeichert, verarbeitet und über ein Webbasiertes Dashboard visualisiert. Zusätzlich werden die Daten eines Ombrometer für die genaue Niederschlagsmessung in der Nähe genutzt, das ebenfalls seine Daten über LoRaWAN an den Server übermittelt. Während des Beobachtungszeitraums, zum Teil bereits bei einem mittelstarken Hochwasser durch einen Starkregen am 23. Februar 2020, konnten wichtige Erkenntnisse für das IoT-basierte Frühwarnsystem gewonnen werden. Das Vorprojekt brachte folgende Erkenntnisse für die weitere Entwicklung von IoT-basierten Frühwarnsystemen hervor:

  • Einblick in die hydrologische Dynamik und die Auswirkungen von ggf. vorhandenen Staustufen in dem Gewässerabschnitt. Mit schon wenigen Sensoren an strategisch ausgewählten Stellen ist eine automatisierte Lageerkennung grundsätzlich möglich.
  • Hinweise zur Eignung des Funkstandards LoRaWAN, der eingesetzten Sensorik und IT.
  • Für die Lagebeurteilung durch die Einsatzleitung der Feuerwehr bei Hochwasser- oder Starkregenereignissen sind die erfassten Basisinformationen bereits hilfreich.
  • Es besteht hohes Potential, um Informationssysteme und später auch Frühwarnsysteme durch folgende Maßnahmen auf ein neues Qualitätsniveau zu bringen:
    • Bestimmung des aktuellen Zustands der Vegetation und der Bodenbeschaffenheit im Einzugsbereich als Wasserrückhalt bzw. Niederschlagsspeicher.
    • Da kleinräumig auftretender Starkregen von den Wetterdiensten nicht genau genug vorhersagt werden kann, können weitere Sensoren an neuralgischen Punkten (z.B. Sensoren zur Messung des Staus im öffentlichen Kanalsystem, Feuchtigkeitsmelder in Gebäuden) zur besseren Lageerkennung eingesetzt werden. Hierzu können auch Citizen-Science-Ansätze (z.B. das Projekt „Bürgerwolke“ von „Soest Digital“) eine feinmaschige Datenlage generieren.
    • Einsatz von Verfahren des Maschinellen Lernens (KI), um z.B. Wetterradar- oder Satellitenbilder automatisch zu analysieren und vorhandene Prognosemodelle kontinuierlich zu optimieren.
Das Forschungsprojekt gliedert sich in drei Projektschritte. Das Projekt in Steinheim befindet sich derzeit in der Übergangsphase zwischen Schritt 1 und 2.

Schritt 1: Aufbau der Infrastruktur

Im ersten Schritt wurde im Jahr 2022 die Infrastruktur ausgebaut, die Sensorik mit insgesamt sieben Pegelsensoren installiert und das LoRaWAN-Netz mit den Gateways zur Verfügung gestellt. Die Daten werden in einem (zunächst noch internen, später auch öffentlichem) Dashboard der Stadt Steinheim zur Visualisierung und für ein Monitoring zur Verfügung gestellt.

Schritt 2: Auswertung und Analyse

Im zweiten Schritt werden die unterschiedlichen Daten nun ausgewertet und analysiert. Die Messung der Daten (Schritt 1) und die Datenanalyse werden teilweise parallel durchgeführt, da die Datenerfassung eine längere Zeit in Anspruch nimmt. Ziel der Analyse ist es, herauszufinden, wie die Niederschläge (Ursache) die ansteigenden Pegel (Wirkung) bedingen, um Warngrenzen abzuleiten.

Schritt 3: Warnung

Im letzten Schritt werden die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den vorangegangenen Schritten genutzt, um das Sensornetzwerk zu optimieren, z.B. weitere Regensensoren und Bodenfeuchtesensoren auszubringen. Diese Daten werden dann mit externen Datenquellen, z.B. des DWD, kombiniert. Aus den so gewonnenen Daten werden Prognosemodelle für zielgerichtete und kleinräumige Vorhersagen abgeleitet. Langfristig ist vorgesehen, eine App für alle interessierten Bürger:innen zu entwickeln, die dann individuell Informationen und Vorhersagen für bestimmte Zielgebiete ermöglichen soll.

Das Projekt wird durch Haushaltsmittel der Stadt Steinheim finanziert, die Auftraggeberin des Projektes ist. Das Fraunhofer-Institut stellt als Auftragnehmer für das Projekt die wissenschaftliche Kompetenz zur Verfügung und hilft bei der Steuerung. Langfristig soll die Stadt mit allen beteiligten Personen dazu ertüchtigt werden, ein ähnliches oder gleiches Projekt selbst durchführen zu können. In der aktuellen Phase baut die Stadt relevantes Fachwissen auf, um die gesammelten Daten anschließend selbst interpretieren zu können. Langfristig soll auch die laufende Wartung der Infrastruktur eigenständig von der Stadt durchgeführt werden. Zu den Hauptkosten zählten zu Beginn die Hardware, die Sensoren (sieben Pegelmesssensoren), die Erweiterungen und der Aufbau des LoRaWAN-Netzes sowie die dahinterliegende Infrastruktur.

Für das Projekt wurde zunächst eine Datenplattform vom Fraunhofer IOSB-INA zur Verfügung gestellt, da die Stadt noch nicht über eine eigene Datenplattform verfügt. Diese eingesetzte Datenplattform ist ein Forschungselement des Reallabors in Lemgo und wird auch in weiteren Projekten eingesetzt, um einen schnellen Projektstart zu ermöglich, zu lernen und Kompetenzen in der Stadt aufzubauen. Dabei werden Open-Source-Komponenten genutzt. Es handelt sich jedoch zunächst um eine Basisentwicklung, welche für Forschungszwecke eingesetzt wird und entsprechend funktional eingeschränkt ist. Das langfristige Ziel besteht darin, die Datenplattform durch eine lokale Datenplattform der Stadt abzulösen.

Das Projekt ist im Stadtrat der Stadt Steinheim vorgestellt worden. Dort wurden die Bürger:innen und die Politik umfassend informiert und es bestand die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich einzubringen. Da sich das Projekt gegenwärtig in einer Phase befindet, die insbesondere technisches Knowhow erfordert, beschränkt sich die Bürger:innenbeteiligung aktuell auf Informationen zum Projektverlauf. Zukünftig soll die Vorgehensweise jedoch interaktiv geplant werden. Es soll mit der Stadtverwaltung, betroffenen und interessierten Anwohner:innen sowie der Feuerwehr besprochen werden, welche Daten zukünftig relevant sind und wie sie für die Zielgruppen verständlich dargestellt werden sollen.

Es gibt bereits mehrere Projekte, in denen Kommunen ihre eigenen Frühwarnsysteme aufstellen. In diesem Projekt wurde die Herausforderung erkannt, dass noch nicht von einer Warnung gesprochen werden kann, da die Zusammenhänge zwischen Niederschlag und ansteigendem Pegel noch stärker durchdrungen werden müssen. Daher wird in diesem Projekt ein forschungsorientierter Ansatz genutzt, um zu analysieren, zu welchem Zeitpunkt welche Akteure sinnvoll einbezogen werden sollen. Aktuell befindet sich das Projekt in der Phase von Schritt 1 und 2. Das Projekt und die Technik sind noch nicht in der Lage, eine konkrete Warnung auszusprechen. Dafür müssen noch weitere Daten gesammelt, wissenschaftliche und technische Fragen beantwortet und die Sensorik weiter optimiert werden. Mittelfristig sollen auch Datenfusionen mit weiteren Sensoren des Wetterdienstes und anderen externen Daten durchgeführt werden, um die Genauigkeit stetig zu verbessern.

  • Es ist wichtig, sich im Vorfeld sehr genau Gedanken darüber machen, welches Problem genau gelöst und welches Ziel erreicht werden soll. Der Einsatz von Sensorik an Flüssen sollte kein Selbstzweck sein.
  • Die Daten sind die Grundlage. Daher ist der Start des Projekts immer der Aufbau einer Infrastruktur (Stufe 1) mit Sensoren und Kommunikationsnetz. Es sollte daher sachgerecht und orientiert an den definierten Zielsetzungen identifiziert werden, an welcher Stelle der Einsatz von Sensorik sinnvoll ist. Es gilt zu beachten, dass die Daten über einen längeren Zeitraum gesammelt werden müssen, um signifikante Ergebnisse zu erzielen und fundierte Annahmen treffen zu können.
  • Es sollte mit Akteuren und Stakeholdern zusammengearbeitet werden, die im Einsatz und der Implementierung von Sensorik sehr erfahren sind. Wird ein falscher Sensor oder ein unpassender Ort für den Einsatz ausgewählt, kann dies zu gravierenden Folgeproblemen und Verzögerungen führen.
  • Um das Projekt und insbesondere die Infrastruktur ausbauen zu können, ist es sinnvoll, in ländlich geprägten Regionen mit Akteuren wie Kirchengemeinden oder Krankenhausbetreibern zusammenzuarbeiten, um die Gateways für das LoRaWAN-Netz an unterschiedlichen Gebäuden in großer Höhe installieren zu können.
  • Es müssen im Vorfeld Annahmen getroffen werden, wo das Hochwasser entsteht, um an der richtigen Stelle die Sensoren montieren zu können. Dazu braucht es Erfahrung und oft eine externe Unterstützung, z.B. durch ein Forschungsinstitut.
  • Wenn die Städte für das Projekt verantwortlich sind, können sie nicht über die Gebiete der angrenzenden Kommune verfügen. In Steinheim ist die Sensorik daher lediglich auf das Stadtgebiet von Steinheim begrenzt. Es wird empfohlen, von Anfang an interkommunale Kooperationen mitzudenken, wie das nun auch in Steinheim vorgesehen ist. Dies schafft viele Vorteile, da ein Fluss nicht an den Stadtgrenzen Halt macht und damit zu einer unnatürlichen Einschränkung führt. Wenn jedoch die Projekte von einem Landkreis oder mehreren kooperierenden Kommunen umgesetzt werden, kann für den Einsatz der Sensoren auch das gesamte Kreisgebiet herangezogen werden. Zukünftig sind in Steinheim auch weitere Gespräche mit der Nachbarkommune geplant. Darüber hinaus ist es wichtig, dass möglichst viele unterschiedliche Daten generiert und Projekte in diesem Bereich durchgeführt werden, um die verschiedenen Einflussfaktoren besser zu verstehen. Daher sollte man bei der Umsetzung des Projekts auch in engem Austausch mit der Forschung und weiteren Kommunen stehen, um den Gesamterkenntnisgewinn voranzutreiben.

Informationen Landkreis

Stadt Steinheim (Kreis Höxter / Nordrhein-Westfalen)
Fläche: 27 km²
Einwohner:innen: 12.572
330 Einwohner:innen je km²

Stand des Projekts: laufend